Bertus hat Angst

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebte ein tollkühner Ritter namens Kunibert. Ritter Kunibert hatte eine wunderschöne Frau, die hieß Lilofee. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder, Bertus und Lilofine. Lilofine war drei Jahre älter als Bertus.

Wie es sich für einen richtigen Ritter gehört, hatte Kunibert ein stolzes Pferd, Flinker Fuß. Flinker Fuß war unsterblich verliebt in Schöne Blume. Schöne Blume war das Pferd von Ritter Waldemar. Ritter Waldemar wohnte auf der Nachbarburg und war der beste Freund von Ritter Kunibert.

Na, und dann gab es da noch den bösen, bösen Kaiser. Der lebte in der großen Stadt und wollte die Burg von Ritter Kunibert unbedingt für sich haben. Er versuchte immer wieder, sie zu erobern. Bis jetzt zum Glück vergeblich.

Eines Tages ritt Kunibert gemächlich durch den Wald. Er träumte vor sich hin. Es war Sommer, aber im Wald war es kühl und vor allem dunkel. Ritter Kunibert hatte aber keine Angst im dunklen Wald. Er war ja schließlich Ritter. Und meistens haben Ritter keine Angst im Dunklen. Meistens.

Neben Ritter Kunibert lief Bertus. Bertus hatte noch kein eigenes Pferd, das bekam man damals erst mit zehn oder so.

Bertus hatte sehr wohl Angst im Dunkeln. Es war ihm ein bisschen peinlich, das vor seinem Vater zuzugeben. Schließlich wollte auch er einmal Ritter werden. Und Ritter haben ja nun mal keine Angst im dunklen Wald. Meistens.

Mit der Angst ist das so eine Sache. Lilofee hat zum Beispiel Angst vor Mäusen. Als ob ihr eine kleine Maus den Kopf abbeißen könne. Der böse Kaiser hat Angst auf einen hohen Turm zu steigen. Als ob er da herunterfallen könne, wo doch überall Geländer sind. Und Bertus hat eben Angst im Dunkeln. Als ob es Monster gäbe, die im Dunklen leben und sich dort verstecken können.

Das Verrückte ist nun, dass Bertus sich über die Angst vor Mäusen lustig macht. Lilofee meint, dass der böse Kaiser spinne, weil er sich nicht auf die Türme seiner eigenen Burg traut. Und der böse Kaiser lacht über den kleinen Bertus und seiner Angst vorm Dunkeln.

Keiner von den dreien merkt, dass das Gefühl der Angst bei ihnen allen gleich ist. Jeder von ihnen macht sich über den anderen lustig, obwohl ihre Ängste alle gleich lächerlich sind. Wie vermessen (das heißt hochnäsig oder überheblich).

Aber zurück zur Geschichte: Bertus lief also neben seinem Vater durch den Wald und schaute aufmerksam nach links und rechts, vor allem aber nach hinten, wo er die Monster der Dunkelheit vermutete.

Als Bertus sich wieder einmal umdreht, sieht er zwischen den Bäumen etwas aufblitzen. Und schon ist es wieder weg. „Hab’ keine Angst“, sagt sich Bertus. „Du wirst einmal Ritter und Ritter … meistens“.

Er fängt an zu singen. „Lalala Tiroler Hut, lalala Blasmusik“. Singen hilft gegen die Angst. Nach kurzer Zeit dreht er sich erneut um. Ist da ein Schatten hinter den Baum gesprungen? Bertus singt lauter. Er drückt sich dicht an Flinker Fuß. Er blickt starr geradeaus. Aber er hört. Er hört die Monster ganz deutlich näherkommen.

„Knack“, macht es. Jemand hinter Ihnen ist auf einen Ast getreten. Schepper, Klapper, als wenn Blechdosen aneinander schlagen. „Das müsse die Schuppen der Monster sein, die so metallisch klirren. Nicht umdrehen, ich werde tollkühner Ritter …“, denkt sich Bertus.

Er hält es nicht mehr länger aus und wendet den Kopf erneut, bereit, den Monstern in die fiesen Augen zu blicken. Was er aber jetzt sieht, ist viel gefährlicher und viel realer als Monster. Gleich hinter der letzten Wegbiegung stürmt eine Horde Soldaten des bösen Kaisers heran.

„Die Soldaten des Kaisers“, ruft Bertus. Ritter Kunibert ist sofort hellwach, packt Bertus am Kragen und hebt ihn vor sich auf das Pferd. Pfiuuu, saust der erste Pfeil an ihnen vorbei. Flinker Fuß macht seinem Namen alle Ehre und galoppiert los. Pfiuu, pfiuu, kommen die nächsten Pfeile geflogen. Doch schnell sind alle drei außer Reichweite und jagen auf die Burg zu.

Noch ehe sie die Zugbrücke erreichen, ruft Ritter Kunibert: „Zugbrücke hoch!“ Augenblicklich straffen sich die Ketten, an denen die Brücke hängt, und die schweren Planken beginnen sich zu heben.

Flinker Fuß gibt noch einmal richtig Gas. Mit einem großen Satz springt er auf die Brücke, stürmt weiter durch das Tor in den Hof der Burg.

„Puh, das war knapp“, schnauft Ritter Kunibert, steigt vom Pferd und erklimmt die Mauer der Burg, um zu sehen, was die Verfolger vorhaben.

Die Soldaten des bösen Kaisers aber haben die Verfolgung längst aufgegeben. Sie wissen, dass Sie die Burg nicht einfach erstürmen können. Ihr Plan Ritter Kunibert im Wald zu fangen war gescheitert.

In dieser Nacht durfte Bertus übrigens bei den Eltern im Bett schlafen, „um den Schreck zu verdauen“, wie Lilofee meinte. In dieser Nacht hatte Bertus keine Angst im Dunkeln. Und er wusste, dass er jetzt schon fast ein richtiger tollkühner Ritter ist.


Was Bertus singt:

Wollt ihr wissen, welches Lied Bertus immer singt, wenn er Angst im Dunkeln hat? Schaut mal bei YouTube nach. Den Refrain könnt ihr euren Eltern dann bei der nächsten längeren Autofahrt vorsingen. Das freut die bestimmt riesig, wenn ihr das eine Stunde lang durchhaltet, ehrlich.

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Wovor Leo Angst hat:

Ich habe Angst vor tiefem Wasser; also da, wo ich mit meinen Füßen nicht mehr an den Boden komme. Ich habe Angst vor den Ungeheuern, die da unten im Wasser wohnen. Natürlich weiß ich, dass es keine Ungeheuer gibt. Aber trotzdem habe ich Angst vor ihnen. Das ist schon verrückt, oder?


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