Anreise Appalachen

Ich habe mir ein Taxi von Kiel nach HH genommen und bin nach Amsterdam geflogen. Schon seit Jahren schlafe ich im Hotel direkt im Terminal, wenn es über den Atlantik geht, und erst am nächsten Morgen fliege ich weiter. Es ist so viel angenehmer, nicht um drei Uhr morgens aufzustehen, um um sechs den ersten Zubringerflug zu nehmen. Außerdem ist es sicherer so. Nicht der Flug, sondern die Autofahrt vom Flughafen in den USA zum Hotel. Übermüdet ist das Mist.

Soweit die Theorie. Ich bin um vier Uhr aufgewacht. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sechs Monate weg von allen… will ich das wirklich?

Bei Anflug auf Atlanta die Appalachen unter den Wolken. Da geht’s bald lang. Jetzt bin ich mir wieder sicher, dass ich die Wanderung will.

Gelandet. Dann ein absoluter Anfängerfehler. Ich habe mir im Flugzeug eine Apfelsine 🍊 genommen und sie nicht gegessen. „Haben Sie Lebensmittel dabei?“, fragt er. „Ja, verdammt, den ganzen Koffer voll und Bluthochdrucktabletten für sechs Monate“, habe ich gedacht. „Ja, eine Apfelsine“, habe ich gesagt.

„Purpuse of your visit, business?“ „Nee, this time it’s purely pleasure“ und als er fragte, wie lange ich bleiben wolle, habe ich ihm gesagt, dass ich den Appalachen Weg gehen will. „If you need more time, I can give you more. I can give you up to one year.“ and I took it. Ich habe nicht vor, das zu nutzen, aber „ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii etc. etc.“ Irres Gefühl, zu wissen, dass ich könnte.

Ich muss unter Aufsicht zum Zoll, wo die Apfelsine hochoffiziell der Verbrennung zugeführt wird. Das übrige Essen und die Pillen interessieren keine Sau. Um meine Medikamente über die Grenze zu bringen, bin ich extra zum Kieler Gesundheitsamt gelaufen und habe mir einen Stempel geholt.

Die Frau neben mir beim Zoll hat vier Weintrauben (einzelne Beeren) in ihrer Handtasche vergessen. Warum Sie die nicht schnell in den Mund steckt? Es geht eben immer noch ein bisschen verrückter.

In den USA zu reisen ist so einfach, weil alles immer gleich ist. Man kommt an und nimmt den Bus zum Mietwagenzentrum. Der Bus direkt vor dem Ausgang. Dann hat man kurz die Wahl, ob man der eigenen Unsicherheit nachgibt und sich die unnötige Zusatzversicherung fürs Auto aufschwatzen lässt, obwohl der Wagen doch schon bei der Buchung versichert wurde.

Los geht’s. Bei den Stoppschildern muss man stehen bleiben. Fahren darf, wer zuerst an der Kreuzung ankommt (nix rechts vor links) und auf dem Highway wird man nicht hineingelassen, wenn man die Spur wechseln will. Wieso auch. First come, first serve und derjenige, der schon auf der Spur ist, war eben first da. Das Gute daran: Man selbst braucht auch niemanden reinzulassen. Beim Abbremsen riskiert man sonst einen Auffahrunfall, weil der hinter einem nicht damit rechnet, dass man „grundlos“ abbremst.

Auch die Städte sind alle gleich. Es gibt ein Zentrum, das von einer Ringstraße umgeben ist. Das Zentrum ist tot. Die Geschäfte liegen an der Straße. Ich hatte mein Hotel im Zentrum.

And diesem ersten Abend in Atlanta war nicht mehr viel. Ich bin zu einem Texmex-Restaurant gegangen. Was ich in Atlanta machen kann, frage ich den Manager. Das Aquarium sei gut. Nicht so wie in irgendwo. Da machen sie einem ein schlechtes Gewissen, weil wir, die Menschen, die Meere zerstören. Im Aquarium von Atlanta sei alles ganz positiv. „Wahrscheinlich schwimmt da eine Sportstudentin im Ariellekostüm mit im Schildkrötenbecken“, denke ich: „Aquarium ist raus“. Aber er empfiehlt mir noch den Botanischen Garten, wo er seine Eltern immer mit hinnimmt, wenn die zu Besuch sind.

Am nächsten Morgen fahre ich zu einem Sportgeschäft, noch eine warme Hose kaufen. In der Nacht herrschte selbst in Atlanta Frost. Hier gibt es Hosen in normalen Größen. In Houston fingen die häufig erst mit einer Bündchenweite von 38 an.

Ich entscheide mich aber für eine Strumpfhose ohne Strümpfe. Die hat bestimmt einen viel cooleren Namen, ist aber trotzdem nur eine Strumpfhose ohne Strümpfe.

Gleich nebenan der Telefonladen. Jetzt habe ich eine amerikanische Handynummer und einen Monat unbegrenztes Datenvolumen für 50 USD.

Das ging alles viel schneller als erwartet. Plötzlich Leerlauf. Nicht so gut für die Stimmung. Ich gehe Richtung Botanischer Garten. Eine Stunde Weg, mitten durch die Stadt. Amerikanische Innenstädte schlagen mir aufs Gemüt. Leer und lange her, dass da mal Leben war. Auf den Straßen Obdachlose.

Unterwegs esse ich. Hühnchen mit sehr salzigem Speck zwischen süßen Waffeln. Die Mehlschwitze mit Pfeffer gibt es für 3,50 extra.

Ich muss dringend auf den Weg, sonst habe ich die neun Kilo, die ich gerade erst abgenommen habe, eins fix drei wieder drauf.

Wie gesagt, ist meine Stimmung am Boden. Ich bin einsam. Hier hätte ich niemanden kennenlernen wollen und können.

Im Botanischen Garten verlangen die 26,95 Dollar Eintritt. Ich zögere, entscheide mich dafür und betrete eine andere Welt. 26,95 Dollar machen den Unterschied zwischen Arm und Reich. Das Publikum im Garten ein komplett anderes als draußen. Die Menschen sind schlank und vornehmlich weiß. Hier ist es schön. Nicht missverstehen: Auch die wenigen Schwarzen und Latinos die da sind, sind hier schön. Ich bleibe drei Stunden und bin glücklich.

Durch eine bessere Wohngegend gehe ich zu einer Fressmeile in einem alten Industriekomplex. Auch so etwas gibt es in allen großen Städten. Entweder eine solche umgebaute Industrieanlage wie hier oder ein ganzer Straßenzug mit Vergnügen. Oft ist das wie Reeperbahn ohne Nutten.

Am Abend im Hotel übe ich mich an Instagram. Mein erstes Reel. Dauert bestimmt zwei Stunden, bis ich das Filmchen fertig habe und real ist an diesem Reel nicht Alles. Ich wähle „Oh, Atlanta“ als Hintergrundmusik. Ein positiver Country Song. Wenn ich den Film mit dem Titelsong aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ unterlegt hätte, wäre die Innenstadtszene, so trübsinnig rübergekommen, wie ich es empfunden habe.

Ein Besuch in Atlanta lohnt sich meiner Meinung nach nicht. Wobei, ich Arielle nicht gesehen habe. 🙂

Ich schlafe. Der Jetlag scheint überwunden. Ich bringe das Auto zurück zur Vermietung. Rons Frau holt mich ab und fährt mich in den Amicalola State Park, wo der Appalachen Weg startet.


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